City Link

Hamburg trifft Kopenhagen

von Ulrich Bildstein


Hamburg und Kopenhagen rücken zusammen, denn ab 2021 verbindet Dänemark und Deutschland ein Tunnel. Schon heute entdecken kreative Vorreiter Synergien und erfinden die Stadt der Zukunft.


Wie wollen wir zusammenleben? Wie gehen wir mit begrenzten Ressourcen nachhaltig um? Was unternehmen wir gegen Vereinsamung, Ausgrenzung und soziale Spaltung? Woher kommen neue Ideen? Wie kommen wir in eine gute Zukunft?

Diese Fragen beschäftigen uns im Oberhafen, wo ein neues Kreativquartier für Hamburg entstehen soll. Wir, das ist der Oberhafen e. V., eine Vereinigung von Menschen, die im und für den Oberhafen tätig sind. Der Oberhafen ist für uns mehr als ein Gewerbegebiet für die Kreativwirtschaft. Wir wollen ihn zu einem Labor zur Erforschung neuer Antworten auf wichtige Fragen unserer Zeit machen. Wir möchten kein Kreativquartier entwickeln, wir möchten ein Quartier kreativ entwickeln.

Im Anfang war ...

... eine Konferenz im Rahmen des Interreg IVB Projekts Creative City Challenge, zu dem die Hochschule für Angewandte Wissenschaften ins Gängeviertel geladen hatte. Dort lernte ich im Sommer 2012 Jesper und Christian kennen, die auf Einladung der Kulturbehörde in Hamburg waren, um kulturelle Kontakte zwischen Hamburg und Kopenhagen zu schmieden.

Christian und Jesper in Hamburg

Im Laufe des Jahres gingen einige Mails hin und her bis feststand, dass eine Reisegruppe aus Kopenhagen Hamburg besuchen und dass Hamburger Kreative einen Gegenbesuch in Kopenhagen machen würden.

Das Austauschprogramm wurde finanziert von den Kulturbehörden in Hamburg und Kopenhagen.

Willkommen in Hamburg

Die Kopenhagener besuchten neben Gängeviertel, Frappant und Centro Sociale auch den Oberhafen – Hotspots, wo in Hamburg nutzerbestimmte Stadtentwicklung erprobt und gelebt wird.

Planen im Oberhafen

So bunt wie die Auswahl der besuchten Orte in Hamburg war auch die Mischung der Teilnehmer aus Kopenhagen: Künstler, Projektemacher und Stadtentwickler. Der Workshoptag im Oberhafen war überaus fruchtbar. Viele nette Leute produzierten mit hoher Professionalität Ideen und Vorschläge für den Oberhafen.

Velkommen til København

Kurz vor Weihnachten fanden sich an einem kalten Mittwochmorgen zu nachtschlafender Zeit 35 Teilnehmer vor dem Gängeviertel ein, um zum Gegenbesuch zu starten. Viele kamen vom Gängeviertel, einige vom Frappant und einige vom Oberhafen. Die Busfahrt war regnerisch, die Fähre eine willkommene Abwechslung. Meinethalben bräuchte es keinen Tunnel ...

Nach heroisch bewältigtem Einbahnstraßen-Chaos kam unser Bus gegen 13 Uhr am Prags Boulevard 43 an, einem nutzerbestimmten Stadtentwicklungsprojekt, das von unseren Gastgebern Christian und Jesper von Givrum gegründet worden war.

Begrüßt wurden wir mit einem Silent Lunch. Schallschützer auf den Ohren erhöhten die Wahrnehmung der verbleibenden Sinne explosionsartig. Neben der Erlösung vom Smalltalk war die dadurch erhöhte Konzentration ein wunderbares Erlebnis. Eine Flasche dänischer Schnaps, die auf dem Tisch stand, tat ihr übriges, um das Eis zwischen Gastgebern und Gästen zu brechen.

Eating at PB43

Danach besichtigten wir das Gelände, auf dem verschiedene Projekte eine alte, sich in Privatbesitz befindliche Fabrik zwischennutzen. Es gibt u. a. eine Schreinerei, eine private Universität, Probenräume und ein Café. Die einzelnen Teile des Projekts haben voneinander große Unabhängigkeit, sind aber als Betreiber des Geländes zusammengeschlossen. PB43 zieht sein Gäste durch die Buntheit der Nutzungen und seinen Gemeinschaftsgeist magisch an.

Ab Nachmittag debattierten die Teilnehmer über Stadtentwicklungsprojekte, Beteiligungsmöglichkeiten an der Gestaltung der eigenen Nachbarschaft, künstlerische Interventionen im öffentlichen Raum und politische Strategien.

Circus at PB43

Der Launch der Website City Link und die Diskussion über die strategische Fortsetzung des Projekts nahm weiteren Raum ein. Referenten aus Kopenhagen stellten uns die Projekte vor, die wir am Folgetag besuchen würden. Ein herrliches Abendessen, nachdem wir uns alle kaum mehr regen konnten, eine Zirkus-Vorführung, weitere Diskussionen, wildes Saunieren und mitternächtliches Milchreisessen brachten den Tag zu einem glanzvollen Abschluss.

Wir übernachteten in Vierbettzimmern. Gott sei Dank hatte ich Ohrstöpsel dabei. Vor dem Schlafengehen berichteten Leute aus dem Gängeviertel, wie stark das Projekt an gesundheitlichen Ressourcen zehrt und wie schwer es ist, es finanziell auf gesunde Beine zu stellen.

Zweiter Tag
Refshaleoen

Nach einem leicht verkaterten Frühstück ging es nach Refshaleøen, einem riesigen Quartier, wo eine ehemalige Werft in ein künstlerisch genutztes Gebiet umgewandelt wird. Ein Theaterprojekt beeindruckte mich als Theatermenschen besonders, weil es durch seine Organisation viel flexibler als die sattsam bekannten Stadttheaterstrukturen in Deutschland zu sein scheint. Das Mittagessen nahmen wir im Madeleines ein, wo sich innovative Zubereitung und Inszenierung von Lebensmitteln zu einem künstlerischen Neuklang verbinden, der den Umgang der Lebensmittelindustrie mit Nahrung grundsätzlich in Frage stellt.

Die nächste Station war KPH, eine städtisch geförderte Kreativeetage, die jungen Startups Raum für erste Schritte bietet. Obwohl das Projekt einen eher traditionellen Ansatz verfolgt, beeindruckte es durch seine inspirierten Nutzer.

Bolsjefabrikken, ein linkes Wohnprojekt, das sich gegen offizielle Vereinnahmung zu wehren weiß, schloss den offiziellen Teil des Besuchsprogrammes ab.

Ein Abstecher nach Christiania, der Mutter alternativer Stadtentwicklung, war die letzte Station vor unserer Rückfahrt. In Hamburg waren wir gegen 1.30 Uhr zurück.


Lessons learned

Im Vergleich von Standpunkten und Lebenssituationen wurde klar, dass die globalisierte Welt in Kopenhagen und Hamburg ähnliche Probleme schafft, Lösungsstrategien jedoch teilweise stark divergieren.

In Dänemark scheint die in Deutschland vorherrschende Trennung zwischen Künstlern und dem Rest der Welt, zwischen Verwaltung und Bürgern zu Gunsten eines kooperativen Miteinanders im Verschwinden begriffen zu sein.

Dieser Unterschied war immer wieder Thema in Gesprächsrunden, in denen gefragt wurde, wie produktiv Abgrenzungen und Standpunktsetzungen im Gegensatz zu runden Tischen sind.

Trennscharf formulierte Argumentationslinien produzieren spürbare Widerstände, die helfen, Forderungen nach alternativen Zukünften klar zu artikulieren. Kämpferisch-politische Haltungen sind aber auch oft klischeebeladen, weniger an der praktischen Lösung von Problemen, als vielmehr an gesellschaftlichen Konflikten orientiert.

Konsensorientierte Diskussionskulturen ermöglichen Verständigung und Bewegung, bergen jedoch die Gefahr, dass potentiell produktive Meinungsunterschiede unter den Teppich gekehrt werden.

Vielleicht ist das wichtigste Kennzeichen dieser Reise, dass sie nicht nur eine Exkursion war, in denen Gebäude und Planungsprozesse betrachtet wurden, sondern auch eine Reise zur eigenen politischen Verortung, die – im Fremden gespiegelt – deutlich zu spüren wurde.

Der informelle Charakter des Kulturaustausches half, Kontakte auf persönlicher Ebene zu knüpfen. Wahrscheinlich sind komplizierte strategische Überlegungen zum Kulturaustausch zwischen Hamburg und Kopenhagen überflüssig. Persönliche Kontakte sind die Treiber einer Zusammenarbeit zwischen den beiden Städten am Wasser.

Wir im Oberhafen arbeiten an der Stadt von morgen, an neuen Ideen für den Citylink und an Projekten für den Oberhafen als Partner für internationale Austausche.


City Link wurde durch Arbeit von Christian und Jesper möglich, wie auch durch Ruth Bäßler, die Weichen gestellt und das Projekt finanziell unterstützt hat. Danke.